DE/EN

LIED OHNE WORTE/ TEXT OHNE HANDLUNG

Lied ohne Worte/Text ohne Handlung

Rechercheförderung des Fonds Darstellende Künste

imagine si ceci un jour ceci
un beau jour imagine

si un jour
un beau jour ceci cessait
imagine

stell dir vor, ob dies, ob dies eines Tages, ,

eines schönen Tages,

ob eines Tages,
eines schönen Tages dies aufhört,

stell dir vor.

Samuel Beckett, Mirlitonnades, Flötentöne, 1981

Am 16. Mai 2022, einem Montag, erlitt ich einen schweren Schlaganfall. Ich lag im Koma auf der Intensivstation der Charité. Ich habe dabei die Erfahrung gemacht, dass es einen Überlebenswillen gibt, dass die Menschen zäh sein können und sich nicht so leicht dem Tod hingeben.
Während ich im Koma lag, muss irgendein Impuls in meinem Körper meinem Gehirn nahegelegt haben, dass es gefälligst abschwellen soll. Das hat geklappt und ich habe überlebt.

Ich bin nun auf der Suche. Ich erfinde mich neu aus den Fragmenten und Träumen und Trümmern meines alten Ichs. Mein altes Ich gibt es nicht mehr, und ein neues Ich taucht auf, droht, hinter dem Horizont wieder zu verschwinden, ist greifbar nahe in der Nacht, bleibt bei mir, schmiegt sich an mich wie der alte, tote Vater in Becketts Hörspiel Embers /Schattenglut. Verschwindet flüchtig wie eine betrogene Hoffnung, wie eine verheissungsvolle Zukunft.

Zu diesem Zeitpunkt herrschte bereits drei Monate Krieg in der Ukraine.

Ich habe den vergangenen Sommer mit Überleben verbracht, mit kurzen Wachphasen, später dann in einer Rehaklinik in Berlin Tegel, bei Temperaturen oft um die 35 Grad.
Es ist heiß, stickig im Zimmer, nachts kann ich nicht schlafen. Bis heute kämpfe ich nur, kann das Entsetzen nicht verstehen, dem beinahe Tod nichts abgewinnen.
Ich sitze Stunden an diesem kurzen Text. Ich habe eine halbseitige Gesichtslähmung. Meine linke Hand ist gelähmt. Ich habe überlebt.
Mein Kopf ist voller Fragmente, Erinnerungen, vagen Vorhaben, die einmal greifbar sind, dann wieder flüchtig. Mein Kopf ist ein Scherbenhaufen, ein Wald, in dem ein Unwetter getobt hat. Jetzt geht es darum, die abgebrochenen Äste, die entwurzelten Bäume aus dem Weg zu räumen. Platz zu schaffen für Pläne, die nicht vergessen sind, die aber oft noch unter der Oberfläche des Bewusstseins lagern.
Ich wollte Musikaufnahmen machen. 2021 hatte ich zur Fete de la Musique eine lange Klavierperformance in der Berliner St Matthäuskirche gemacht. Ich hatte Arbeitstitel von Joseph Beuyss ins Morsealphabeth übertragen. Einiges ist bereits passiert. Daran will ich weiterarbeiten.

Ich habe mich mit dem Berliner Architekten Bruno Taut beschäftigt. Über seine Arbeit DIE AUFLÖSUNG DER STÄDTE plane ich eine live Film Performance, zusammen mit der Performerin Claudia Split, mit der ich bereits 2021 für das Stück Seltsame Materie zusammengearbeitet habe. Ich habe mit Fotoaquarellen gearbeitet, Hybride aus Fotografie und Aquarellen. Auch das soll fortgesetzt werden.

Ich arbeite als bildender Künstler und Musiker vornehmlich im Medium der Live Film Performance. Die Performance Reihe SELTSAME MATERIE ist ein gutes Beispiel für den multimedialen Ansatz dieser LIVE FILM SHOWS. 2021 wurde die Seltsame Materie Performance HEL ON EARTH vom Dakü Fonds gefördert.

Jetzt kann und will ich trotz Einschränkungen wieder arbeiten.
Ich bin der Schatten meines Selbst. Ich bin mehr als der Schatten meines Selbst. Ich bin ein Text, der sich selbst fortschreibt, ohne Handlung, der Text eines KI Bots, der um sich selbst kreist, eine Spirale ausbildet, ein LABYRINTH. In meiner Recherche ist das Labyrinthische ein Thema.

Sich das Aufhören vorstellen, ein dichter, kurzer BeckettText, ein Vorschlag, eine Vorstellung, in seiner Reduktion beredt, sich öffnend und doch sich verweigernd, die Handlung eine Scheinhandlung, ein Diskurs.
Eines schönen Tages mag alles vielleicht aufhören. Der Tag ist jedoch noch nicht da. Oder war es bereits und der Text ist der eines Gewesenen. Wahrscheinlicher aber ist die Projektion in die Zukunft.

Zum Text ohne Handlung gesellen sich Lieder ohne Worte von Felix Mendelssohn Bartholdy, der Name vielleicht erfunden von seiner hochbegabten Schwester Fanny Hensel; es sind Musikstücke für Klavier, die wie Songs sind, sprechende Melodien eines unhörbar dazu klingenden Gesangs. Der Gesang ist da, anwesend, erklingt nur noch nicht. Es sind Kompositionen einer Auslassung.

Die Beschädigungen sind allgegenwärtig, aber verhandelbar.